Robert Weaver II – Split-Level Books


Frustriert über die zunehmenden Restriktionen im Bereich der Zeitschriftengestaltung verlagerte Weaver in den achtziger Jahren den Schwerpunkt seiner Tätigkeiten in zunehmendem Masse auf seine Lehrtätigkeit an der New Yorker Visual School of Arts und baute eine in den siebziger Jahren begonnene losen Folge von tagebuchartig geführten Motivbüchern zu einem eigenständigen künstlerischen Werkkomplex aus, mit dem er in den Worten des Komponisten und Comiczeichners Peter Blegvad “seiner Zeit um mindestens zwanzig Jahre voraus” war.

Es handelt sich bei diesen von ihm so genannten Split-Level Books um Bündelungen der Montageverfahren, die Weaver Mitte der sechziger Jahre in die Illustrationskunst eingeführt hatte : “Since I did´t have any background in commercial art , I did some radical things. I was the first to break up the illustration space into two or more activities, happening at once in different parts of the work. I was condensing ideas: in the same way as in speech one can say I went to Paris, then I went to Rome – which covers a large geographical spectrum – I was packing several actions into pictures.”

Inspiriert zu einer Aufteilung des Bildraums in mehrere simultan laufende Ebenen hatte ihn eine Arbeit von Andy Warhol und zwar dessen 1964 entstandener Film “Chelsea Girls”, in dem dieser zusammen mit dem Regisseur Paul Morrissey mit Mehrfachprojektionen und mit Zergliederungen des Screens experimentiert hatte.

Die sequentiellen Split-Level Books waren jedoch viel mehr als reine Fortführungen derartiger Versuche; sie stellen im Grunde Visualisierungen seiner Reflexionen über die spezifischen künstlerischen Möglichkeiten der Printmedien dar. “For the visual artist, what is unique about the book, and by extension, the magazine is (a) in no other medium does the artist use both sides of the same material and (b) in no other visual medium can he produce a work that has a beginning and an end.” Der Vorgang des Umblätterns der Buchseiten wird ihm zum Äquivalent der Funktionsweise eines Wahrnehmungs- und Bewusstseinsstroms, in dem ein Moment den nächsten ablöst und durch die Erinnerung überblendet. Die mehrspurige Anlage der Bücher ist zumeist in der Art von Musikstücken komponiert, indem eine Spur den Part der Melodielinie, eine andere den einer rythmischen Grundierung übernimmt. Nicht selten läuft asynchron eine weitere Textspur parallel.

In der Sammlung des Meelton Prior Instituts befindet sich ein herausragendes Exemplar von Weavers illuminierten Büchern, das 1982 enstandene 51seitige Opus “A Pedestrian View / The Vogelman Diary”. Es ist zweigeteilt in eine obere prosaische Bildhälfte, der Ebene des Passantenblicks und in einen unteren poetischen Textstreifen, der aphoristische Auszüge aus dem Tagebuch eines gewissen Clarence Vogelman enthält. Es handelt sich dabei um Reflexionen über den schwerelosen Zustand des Fliegens und des Träumens, der in seiner kontinuierlichen Abwicklung mit dem Medium der illuminierten Buchrolle gleichgesetzt wird, während das eher diskontinuierliche Medium Buch mit dem Wachzustand gleichgesetzt wird. Beim Durchblättern beginnen sich beide Ebenen schnell auf halluzinatorische Weise zu vermischen , indem sich Vogelmans Überlegungen in das fliessende Changieren der abwechselnd in Bodenperspektive und in der Vogelperspektive erfassten Strassenszenen einzublenden beginnen . Weavers mit lockerem Pinselstrich meisterhaft erfassten Passanten – Vogelblicke sind reinstes Ukiyo – e: Bilder einer vorbeischwebenden Welt und es gelingt ihm dabei tatsächlich das diskontinuierliche Medium Buch in einen bildrollengleichen Schwebezustand peripherer Wahrnehmung zu transzendieren.

Weaver hat sich, das geht aus den verschiedenen Interviews mit ihm hervor, auf ausführliche Weise mit der Historie sowohl der Reportagezeichnung als auch der Sequential Art beschäftigt: mit den Erzählformen der Continuous Narration in der Kunst des Mittelalters und der Frührenaissance, den Mangas von Hokusai und anderen Ukyio-e Künstlern, sowie den holzgeschnittenen Graphic Novels eines Frans Masereel und Lynd Ward.
“A Pedestrian View / The Vogelman Diary” ist das Kondensat dieser Auseinandersetzung.
Robert Weaver starb 1994 in New York.

Robert Weaver: A Pedestrian View / The Vogelman Diary

End of the book…

and the Weave-page

Alle Abb. © The Estate of Robert Weaver