Erstaunlicherweise ganz ohne jeden jubiläumstechnischen Zwang, also quasi aus heiterem Himmel feiern das Westfriesmuseum in Hoorn und die Staatliche Graphische Sammlung München zeitgleich die bahnbrechende Illustrationskunst des Leonaert Bramer.

Leonaerd Bramer, Mors Triumphans, Öl auf Schieferplatte
Der 1596 in Delft geborene Künstler zählt neben dem nur wenige Jahre älteren Jacques Callot und dem wenig jüngeren Rembrandt van Rijn zu den Pionieren der neuzeitlichen Illustrationskunst. Da Bramers zeichnerisches Werk im Gegensatz zu dem seiner beiden Kollegen nicht druckgrafisch umgesetzt war, musste dessen Wirkung auf einen kleinen Kreis von Sammlern beschränkt bleiben. Seine mit grosser Imaginationskraft, gehöriger Lust an subversiven Anspielungen und überraschender Motorik hingeworfene Zeichungsfolgen zu Werken der Weiltliteratur haben den Kurator der Münchener Ausstellung Achim Riether zu den sehr werbewirksamen aber nichts desto weniger zutreffenden Vergleichen mit zeitgenössischen Genres wie dem filmischen Storyboard und der Graphic Novel veranlsst. Als „kinematographisch“ wurde Bramers einzigartige sequentialistische Illustrationskunst bereits in den 1920er Jahren beschrieben.

Leonaerd Bramer, die Madrider Studenten bezweifeln die ‘Echtheit’ des Seeungeheuers, aus: “Lazarillo de Tormes”, 1646 (Staatl. Sammlung München)

Leonaerd Bramer, Lazarillo wirft die Tonne um, in der er gefangen war, “Lazarillo de Tormes”, 1646 (Staatl. Sammlung München)
Die Graphische Sammlung München zeigt aus ihren Beständen zwei Zeichnungszyklen zu spanischen Romanen: 73 Blätter zum populären antiklerikalen Schelmenroman “Lazarillo de Tormes” sowie 61 Illustrationen zu den “Suenos”, einer 1627 erschienenen Sammlung fantastischer Visionen und satirischer Schriften von Francisco Gomez de Quevedo y Villegas’. Bramers Illustrationsfolgen wurden als zusammengeheftete Konvolute an die Sammler verkauft. Überliefert sind ca. 1200 Zeichnungen. Die Münchner Sammlung besitzt neben dem Rijksprentenkabinet in Amsterdam den umfangreichsten Bestand. Im Deutschen Kunstverlag ist ein umfangreiches Katalogbuch dazu erschienen mit Beiträgen von Achim Riether und Hans Paschen.
Bramer war ein Mitbegründer der Bentvuegels, einer sozialkritischen bohemischen Clique holländischer und flämischer Künstler, die von 1620 an in Rom existierete. Sein bentvuegelscher Decknamen “Nestelghat” (Unruhegeist) trifft den anarchischen, quecksilbrigen Kern seiner Kunst. Die Bentvuegels beschäftigten sich in ihren Grafiken und Malereien bevorzugt mit dem unterbürglichen Milieu, mit der Welt der Aussenseiter, der Bettler, Vaganten und Schausteller. Das Westfriesische Museum in Hoorn zeigt Bramers fulminanten Zeichnungszyklus “Straatwerken”, eine Serie von 66 Zeichnungen von holländischen Stassenhändlern aus der Sammlung der Universität Leiden, in der er sich auf subversive Weise mit dem von Annibale Carracci nobilitierten Genre der Kaufrufdarstellungen auseinandersetzte. (A.R.)
Bramers “Straatwerken” ist im Westfriesischen Museum in Hoorn bis 2. März 2014 zu sehen. / Die Ausstellung “Bettler, Diebe, Unterwelt.Leonaert Bramer illustriert spanische Romane” in der Münchner Pinakothek der Moderne läuft bis zum 9. März

Leonaerd Bramer, Schulmeister, aus: Straatwerken, 1659 (Prentenkabinet, Leiden)