“Die Kunst der Diagrammatik” von Astrit Schmidt-Burkhardt (Neue Publikation)


Sieben Jahre nach dem Erscheinen ihrer bahnbrechenden Studie über “Stammbäume der Kunst”, in der sie den archigenetischen Mythen der künstlerischen Avantgarden eine detallierte Analyse ihrer genealogischen Standortbestimmungen entgegenstellte, legt Astrit Schmidt-Burkhardt nun ein Kompendium ihrer breit gestreuten Forschungsarbeiten zur Kunst der Diagrammatik vor. Das Titelbild hat die Autorin mit gewohnter Präzision gewählt. Es handelt sich um eine Werbeillustration, auf die sie in einem Wirtschaftsmagazin aus den vierziger Jahren gestossen ist. In dieser Anzeige einer Werbeagentur werden die Verheißungen eines geschäftlichen Aufschwungs durch die ungewohnte Platzierung eines Diagrammbilds in einem musealen Umfeld auf äußert effektvolle Weise in Szene gesetzt. Die Annonce zeichne, so die Autorin, “die künftige Konjunktur des visuellen Diagramms in der Kunst nach 1945 vor: die Karriere von der grafischen Repräsentation zur repräsentativen Grafik”.

Coverabbildung “Die Kunst der Diagrammatik” (aus: Fortune, Bd. 32, 1945)

Der erste Teil des Buchs verfolgt den steilen Austieg tabellarischer Graphen in den letzten 250 Jahren. Ein eigenes Kapitel ist der synchronoptischen Geschichtskarte des französischen Universalgelehrten Jacques Barbeu-Dubourg gewidmet. Für deren Gebrauch entwickelte Barbeu-Dubourg 1753 eine Maschine mit einem Rollmechanismus, die nach Ansicht von Schmidt-Burkhardt ein revolutionäres dynamisches Geschichtsbild in Gang brachte. Historie war mit dieser kinematographischen Lernmaschine als eine gestaltbare Materie begreiflich, die sich damit aus der tradierten Determiniertheit zu lösen begann. Der Betrachter wurde mit diesem Instrument der Aufklärung erstmals in den Stand eines “inaktiven Users” versetzt.

Jacques Barbeu-Dubourg, Carte Chronographique, 1753 (geschlossener Zustand)

 

Jacques Barbeu-Dubourg, Carte Chronographique, 1753 (geöffneter Zustand)

Im zweiten Abschnitt geht die Autorin an Hand einiger Fallstudien den Ursachen für die aktuelle Konjunkur graphischer Schaubilder nach. Der Trend zum Mapping setzte in den neunziger Jahren als Gegenströmung zu den marktaffirmativen Tendenzen der vorangegangenen Dekade ein und bestimmt seither das Gepräge einer kritisch-aufklärerischen Kunst.  Wie jedes kritische Projekt laufe allerdings auch die diagrammatische Ordnungsästhetik, die sich der Bildsprachen des Neoliberalismus bediene, Gefahr selbst eine inhärente Komponente des Kritisierten zu sein. (A.R.)