Mysteries of the Central Station (exhibition review)


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Dass die Mysterien der Gegenwart am Hauptbahnhof stattfinden ist nicht erst seit Beuys und Stuttgart 21 klar. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde er als Emanation des technischen Fortschritts und Brennpunkt großstädtischer Betriebsamkeit wahrgenommen, als Zentrum eines halluzinogenen “Reichs der Kraft.”  So lautete der Titel einer populären Publikation von Artur Fürst von 1926, die im Bildteil Arbeiten aus der legendären Ausstellung “Stätten der Arbeit” der Dresdener Galerie Ernst Arnold von 1912 reproduzierte. Sie hatte den Sozialheroismus und den Technikfuror der Kunst der Zeit zum Gegenstand. Nahezu sämtliche namhafte bildnerische Dokumentaristen der industrialisierten Arbeitswelt waren dort vertreten, darunter Joseph Pennell, Walter Klemm, Frank Brangwyn, Käthe Kollwitz und Artur Kampf. Gruppiert waren sie um die wohl einflussreichste bildnerische Apotheose industrieller Arbeit, um Adolph Menzels “Eisenwalzwerk” von 1875. Der Schienenwelt war in diesem Panorama der Arbeits- und Technikwelt der breiteste Raum eingeräumt.

Der Künstler, der sich diesem spezifischen Segment der Industriekultur mit der größten Hartnäckigkeit und Konsequenz gewidmet hatte, fehlte allerdings. Die Eisenbahnkunst des früh verstorbenen schwäbischen Menzelianers Hermann Pleuer stand im Ansehen der Nachwelt immer etwas hinter dem Werk seines Berliner Konkurrenten, des wenige Jahre jüngeren Hans Baluschek zurück. Dem war als Sohn eines Bahnbeamten die Kenntnis der Schienenwelt quasi in die Wiege gelegt. Während Baluschek das Bahnermilieu in unzähligen Gemälden und Grafikzyklen mit naturalistischen Ethos als einen dramatisierten sozialen Raum erkundete ging es dem Impressionisten Pleuer eher um Technikwiedergabe und Konstruktion.

Hermann Pleuer, Schnellzuglokomotive, 1906

Schnellzuglokomotive (Archiv Maschinenfabrik Esslingen)

Die Kabinettausstellung, die die Stuttgarter Staatsgalerie Pleuers Eisenbahnkunst gewidmet hat, konfrontiert Zeichnungen und wenige Malereien mit Konstruktionsplänen, Fotografien und Technikexponaten aus dem Archiv der Maschinenfabrik Esslingen, dem Werk, das Pleuers Lieblingsmotive fabriziert hatte: die Lokomotive der Klasse AD, Sicherheitsventile, Dampfpfeifen, Rollböcke etc. Diese kuratorische Vorgehensweise funktioniert wunderbar, denn in der Gegenüberstellung vom technischem Bild und Technikbild offenbart sich der dynamistische Grundzug von Pleuers Zeichenweise und der Kunst seiner Zeit auf unangestrengte Weise. (A.R.)

Hermann Pleuer: Stuttgarter Hauptbahnhof, 1907

Hans Baluschek: Der Bahnhof, 1907