Unter Wölfen – Zweierlei Naturrepräsentation. Julia Schmid im Kunstmuseum Bonn (Ausstellungsbesprechung von Rolf Bier)


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Julia Schmid (*1969) ist mit hyper- oder gar metarealistischen Bildern von Pflanzensammlungen bekannt geworden, die sie an oft eher unscheinbaren Orten ihres jeweiligen Aufenthalts  vornimmt und dabei keinen Unterschied zwischen Unkraut und Blume macht, – in Kleingärten (Hannover 2002), auf Spaziergängen in der Stadt (New York 2004-05), auf Straßenabschnitten (Hannover 2008, Braunschweig 2010) oder Plätzen (Rudolfsplatz Berlin 2000, Wenzelsplatz Prag 2012). Ihre Arbeiten kann man durchaus als botanische Porträts dieser Orte verstehen. Sie sind gleichermaßen Ergebnisse einer ebenso konzeptuellen wie atmosphärisch-subjektiven Recherche.

 Parque de la Montaña Madrid, 2012 (Öl auf Leinwand, 210 x 210)

Zwei Kilometer Madrid/Helsinki, 2011/12 (Ausstellungsansicht Kunstmuseum Bonn)

Dabei scheint Schmid methodisch von ähnlichen Erkenntnisinteressen motiviert zu sein wie Künstler der 60er-Jahre, die wie Ed Ruscha oder Richard Long infrastrukturelle Linien und kartografische Darstellungsmethoden zu Parametern ihres Interesses machten. Schmids Malerei der Pflanzendetails aus bestimmten Referenzgebieten entsteht paradoxerweise ohne Vorplanung im “Unraum” des flachen weißen Bildgrunds und entwickelt sich dort sukzessiv aufwendig und zugleich bildnerisch autonom. Sie ver-ortet sie jedoch, indem sie ihr Fotos und Plan-Ausschnitte des jeweiligen Sammlungsgebiets zur Seite stellt. Das Besondere an dieser signifikanten Malerei ist nicht etwa ihre mitunter farbig und kompositorisch aufblühende Üppigkeit, sondern gerade vielmehr die Engführung zutiefst malerischer und zeichnerischer Qualitäten: mitunter wirken die Formen einzeln auch noch außerordentlich plastisch. Schmid gelingt in der Verschmelzung künstlerischer und wissenschaftlicher Referenzen etwas Überraschendes: die Rehabilitation des durch zahllose illustrative “Blumenstücke” kontaminierten und konventionell verbrauchten Sujets des Pflanzenbilds. Unter dem Aspekt einer individuellen künstlerischen Methode zur “Bildgewinnung”, setzt sie sich vom Verfahren und vom Selbstverständnis her von der Tradition jener selbstgenügsamen Stilllebenmalerei ab, für die Pflanzen nurmehr als Topos für Sinnlichkeit und Schönheit oder Vergänglichkeit galten.

Die Ausstellung HELSINKIMADRID gibt anlässlich des an Julia Schmid vergebenen Bonner Kunstpreises die Gelegenheit, ihre Arbeit der letzten beiden Jahre kennenzulernen, in dem sie sich auf die Realisierung ihres gleichnamigen Projekts konzentrierte: einem ebenso absurden wie aussagefähigen Vergleich beider Städte, die eine von vermeintlich äußerster Gegensätzlichkeit geprägten Achse durch Europa bilden. Auch in dieser Ausstellung wird an Schmids Arbeiten deutlich, wie sich humanes und pflanzliches Leben gegenseitig durchdringen und spiegeln.

Neben zwei großformatigen Bildern, die zwei im Stadtgefüge ähnlich positionierte Parks anhand ihres botanischen Bewuchs thematisieren, sowie zweier Triptychen, die eine zwei Kilometer lange Wegstrecke vom Hauptbahnhof in die Stadt hinein zum Anlass haben, finden sich in HELSINKIMADRID auch zwei fast monumental wirkende Zeichnungen von Landschaften, die mit hartem Bleistift auf neutral weiß grundiertem Multiplexplatten (40 x 60 cm) ausgeführt sind. Diese geben in akribischer linearer Transkription und bei gleichbleibender Strichintensität und Tonwert Ausblicke aus ihren jeweiligen Ateliers in Spanien und Finnland wieder. Sinnigerweise werden diesen Zeichnungen, die der strukturell Neutralität des Kupferstichs näher zu sein scheinen als der traditionellen Zeichnung, hier blau-diffus aufleuchtende Solargramme von Pflanzensammlungen desselben Orts komplementär hinzugefügt.

Out of the blue, Suomenlinna, 2012 (Bleistift auf Multiplex / Holz, 40 x 60 cm)

Ein weiterer Werkblock beschäftigt sich mit denselben künstlerischen Mitteln genau mit dem Gegensatz von „freier“ Repräsentation und „freier“ Natur. In den vier Zeichnungen ihrer fortlaufenden Serie “Wölfe in der Stadt” zeigt Julia Schmid Tierpräparate im künstlichen Display von Dioramen und Schaukästen, wie sie in naturkundlichen Museen noch zu finden sind, bevor sie durch digitale Aufrüstung mit interaktiven Touchscreen-Pools verdrängt werden. Die aufwändig gestalteten Raumkästen bilden ihre magische Wirkung gerade durch eine Beschwörung eines besonders  einheitlichen Blicks, die im Kontrast steht zu einer musealen didaktischen Zeigegeste, die die Verhältnisse zur Nachvollziehbarkeit wissenschaftlicher Methodik in viele Einzelteile zerlegt und damit in ein klar gerichtetes und pointiertes Dialog-Verhältnis von Exponat und Betrachter überführt. Das eigentliche Ziel eines Dioramas ist paradoxerweise gerade die Aufhebung des musealen Raums im Museum selbst als eine Art atmosphärische Synthese. Seine Magie liegt darin, dass man in ein szenisches Allover mit suchenden Augen eintauchen und sich darin verlieren kann. Während die Exponate in der museal-didaktischen Präsentation im deutlichen Habitus als “Gezeigte” auftreten, zeigen sich die Dinge beim Schauen ins Diorama umso klarer, je virtuoser die Interaktion von Präparaten und Malerei in diesem Illusionismus-Apparat gelingt.

Wölfe in der Stadt I, Luonnontietteellinen Keskusmuseo  Helsinki 2011/12 (Bleistift auf Multiplex /Holz, 40 x 60cm)

Wölfe in der Stadt III,  Museo Nacional de Ciencias Naturales Madrid 2011/12 (Bleistift auf Multiplex /Holz, 40 x 60 cm)

Julia Schmids Zeichnungen von Wölfen in großen Vitrinen setzen genau an diesem Punkt an und “überzeichnen” ihn: der Ort ihrer Entstehung wird nicht verleugnet, sondern als Nahtstelle der Repräsentation ausgewiesen. In die Dichte der gleichmäßigen grafischen Struktur, die sich fast ganz ohne Kontraste, nur aus der Textur der einzelnen Striche ausbreitet, sind Konstruktionsbalken und Spiegelungen der großen Vitrinen sichtbar eingewebt, ebenso wie die Präparate selbst, die in dieser Struktur mitunter fast untertauchen und heraus”gelesen” werden müssen.

Hybrid – nach einem Diorama in der Naturkundeabteilung Landesmuseum Hannover 2011,Bleistift auf Multiplex, 40 x 60)

Kraft der synthetischen Qualität der Zeichnung entsteht eine Art Re-Naturalisierung der Szenerie: als eigenwilligen Untoten wird den Präparaten der Vitrinen in den Zeichnungen jene Umwelt zurückgegeben, aus der sie – als lebende Tiere – einst entstammten – um den Preis einer Künstlichkeit zweiten Grades, die die Lüge einschließt. Dies ist von besonderem Interesse in Zeiten, wo kein Tag vergeht, an dem über die Rückkehr der Wölfe in die westlichen Länder Europas berichtet wird. An dieser exemplarischen Diskussion um ein traditionell schlecht beleumdetes Tier wird die Notwendigkeit deutlich, sich klar zu werden, wie wir mit unserer weitgehend anthropomorph überformten Welt weiter umgehen wollen, was wir heute für “natürlich” halten und – auch im Museum – noch als “Natur” bezeichnen können.

Rolf Bier, 2.1.2013 (Alle Abb.: VG Bild-Kunst)

Julia Schmid, HELSINKIMADRID, Kunstmuseum Bonn (bis 3.2.2013)